Prediger 3, 1-12

1Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:

2Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;

3töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;

4weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;

5Steine wegwerfen hat seine Zeit, steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;

6suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;

7 zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;

8 lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

9 Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.

10Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen.

11 Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt: nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende,

12Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.

 

Harald Seubert

Betrachtung zu Prediger 3, 3-12

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder,

In Zeiten der Krise wie diesen, wird uns deutlich, wie wahr der Prediger redet, wenn er uns klar und herausfordernd daran erinnert, dass alles seine Zeit hat. Das Schöne, das man festhalten möchte und das doch schnell vergeht: Liebe, Friede, Sammeln, Pflanzen.

Aber auch das Andere, das Böse, Bedrohliche: Krieg, Hass, Zerreißen, Zerstreuen. Wir hätten diese Nachtseite des Lebens wohl gerne weg, aus unserem Leben getilgt: ersehnen uns einen Zustand des Paradieses, wie ihn die Bibel in Gen 1 beschreibt und wieder am Ende der Zeiten verheißt (Offb.21). Und manche Kulturen und Ideologien erträumten sich die Perspektive auf einen solchen vorgezogenen Himmel. Verwirklicht wurden diese Träume nicht.

Denn der Wechsel des Hellen und Dunklen bleibt, solange wir leben, solange die Welt besteht. Wenn man selbst das Dunkle durchlebt, scheint es ein schwacher Trost zu sein, dass auch dieses Dunkel „seine Zeit“ hat.

Doch nach menschlichen Maßstäben können wir uns sagen: Dies alles wird wieder vergehen. Wir werden uns wiedersehen, aus der sozialen Isolation, aus Angst und Depression aufstehen. Es wird umso schöner sein, bewusster gelebt und erlebt werden können. „Nur wer dunkel kennt, kennt oben, nur wer Schatten kennt, der kennt Licht“ (B. Wegner).

Diese Hoffnung hält der Prediger für legitim und für wichtig. Gut ist es doch, wen ein Mensch arbeitet, isst und trinkt und fröhlich ist, in diesem kurzen fragilen Leben. Was soll man sonst schon tun? Die Welträtsel lösen wir nicht.

Das macht uns neu bewusst: Gott ist „das Geheimnis der Welt“ (E. Jüngel). Seine Wege, das sagt uns der Prediger mit derselben Wucht, mit der es Hiob erfahren musste, kennen wir nicht, sie erschließen sich uns nicht ohne weiteres? (Prediger 3, 11b).

Das ist wichtig. Aber ist es auch alles? Sie sind hier in die Kirche gekommen, um in der Stille ein Licht zu spüren, eine Kraft, die den Tod schon überwunden hat, dem Schmerz den ewigen Stachel gezogen hat.

Sie sind hier, um aus der Alltagshektik herauszukommen und auf den Gipfel zu blicken, obwohl der Weg zwischen Felsen, dürrem Land und Anstrengungen sich vielleicht gerade zu verlieren und zu lange zu werden droht. Dieses Licht Gottes ist uns in den Worten des Osterzeugnisses gesagt: „Christus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben, ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht“ (1 Tim 1, 10). Ein wundervolles und kraftvolles: „Alles, alles wird gut!“- keineswegs ein billiger Trost, sondern die Ewigkeit, die jedem und jeder von uns ins Herz gelegt ist und die in Jesus Christus verbürgt ist.

Schmerz, Krankheit, Krise haben ihre Zeit, eine endliche-begrenzte Zeit. Am Ziel aber steht das Leben.

Vergessen Sie dies nicht, halten Sie daran fest und bleiben Sie gesund. Amen